Band 19: Wohnstandortentscheidungen suburbaner Haushalteder Bevölkerungsgruppe 60plus – Untersuchung am Beispiel von ausgewählten Kommunen im Landkreis Mainz-Bingen

AzR

Arbeitspapiere zur Regionalentwicklung – Elektronische Schriftenreihe des Lehrstuhls Regionalentwicklung und Raumordnung (E-Paper) – Band 19

Marcel-Alexander Gärtner
Wohnstandortentscheidungen suburbaner Haushalte der Bevölkerungsgruppe 60plus – Untersuchung am Beispiel ausgewählter Kommunen im Landkreis Mainz-Bingen

In der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts fand in der Bundesrepublik Deutschland ein weiträumiger Suburbanisierungsprozess statt. Junge Familien wanderten u. a. in den 1970er und 1980er Jahren in der Familiengründungsphase in das Umland der Städte und präferierten die Wohnform des Einfamilienhauses in einem familienfreundlichen Wohnumfeld. Infolgedessen entstanden weitgehend altershomogene Siedlungen. Diese Bevölkerungsgruppe erreicht nun das Alter 60plus mit der Folge, dass Umlandgebiete von Städten aufgrund der genannten altersselektiven Stadt-Umland-Wanderungen von der demographischen Alterung in überdurchschnittlichem Maße betroffen sind.

Heute ergibt sich ein Problemkomplex aus einer fehlenden Kongruenz zwischen gealterter Bevölkerung einerseits und räumlicher Umwelt andererseits, der sowohl die Kommunen als Wohnstandort als auch die betroffenen Haushalte vor neuartige Herausforderungen stellt.

Demnach kommt es im Zuge der Erhöhung des Anteils älterer Menschen in der Bevölkerung in suburbanen Räumen zu einer Verstärkung und Modifikation der Nachfrage nach altenspezifischen, dezentralen Versorgungsstrukturen in bestimmten Bereichen der Daseinsvorsorge (wie der medizinischen Versorgung, der Versorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs und des öffentlichen Personennahverkehrs (öPNV)) sowie im Bereich altengerechter Wohnraumangebote. Neben diesen quantitativen Aspekten weist die Bevölkerungsgruppe 60plus aufgrund von gesellschaftlichen Veränderungsprozessen, wie dem Wertewandel, im Vergleich zur Vorkriegsgeneration neuartige Bedürfnisse und Anforderungen an ihren Wohnstandort auf.

Gleichzeitig sind sowohl altenspezifische Versorgungsstrukturnetze in suburbanen Räumen aufgrund einer flächenintensiven und monofunktionalen Siedlungsentwicklung mit räumlich konzentrierten Einrichtungen der Daseinsvorsorge, einer starken Abhängigkeit vom motorisierten Individualverkehr (MIV) bei abnehmender altersbedingter individueller Mobilität und damit einhergehenden ungünstigen Erreichbarkeiten als auch altengerechte Wohnraumangebote oftmals nur eingeschränkt vorhanden.

Die geschilderten raumbezogenen Divergenzen zwischen sich wandelnden quantitativen und qualitativen Nutzungsmustern hinsichtlich Versorgungsstrukturen, Mobilität und Wohnraum einerseits und siedlungsstrukturellen Rahmenbedingungen andererseits führen dazu, dass Wohnstandortentscheidungen früherer Lebensphasen dahingehend überprüft werden, ob eine altersgerechte Lebensführung in den suburbanen Siedlungsgebieten möglich ist.

Vor dem Hintergrund der dargelegten raumstrukturellen Problemlagen in suburbanen Kommunen im Zuge des Prozesses der demographischen Alterung liegt das zentrale Anliegen der vorliegenden Arbeit darin, Wohnstandortentscheidungen suburbaner Haushalte der Bevölkerungsgruppe 60plus anhand einer beispielhaften Betrachtung in ausgewählten suburbanen Kommunen im Landkreis Mainz-Bingen zu untersuchen. Folgende Forschungsziele werden im Rahmen der Arbeit verfolgt:

In einem ersten Schritt sollen die Standortgegebenheiten in Bezug auf die Ausstattung mit Versorgungsstrukturen, die die Untersuchungskommunen älteren Menschen der Generation 60plus bieten, zukünftig im höheren Alter ein selbstständiges Leben führen zu können, analysiert werden.

Des Weiteren werden das derzeitige aktionsräumliche Versorgungsverhalten der Untersuchungsgruppe sowie daraus entstehende potentielle Versorgungsdefizite im hö- heren Alter untersucht.

In einem weiteren Analyseschritt liegt der Fokus auf der subjektiven Wohnstandortbewertung aus Bürgerperspektive. Im Speziellen wird dargestellt, inwiefern die Bevölkerungsgruppe 60plus ihren Wohnstandort in einzelnen Bereichen der Versorgungsstrukturen beurteilt und klassifiziert.

Darüber hinaus ist die prospektive Wohnmobilität (Umzugsbereitschaft) der Generation 60plus, insbesondere in Abhängigkeit von den gegebenen Versorgungsstrukturen, Gegenstand der Untersuchung. Es wird erforscht, ob eine erhöhte Wohnmobilität innerhalb dieser Altengeneration, beispielweise mit Wanderungen in innerstädtische Quartiere mit seniorengerechten Versorgungsstrukturen und Wohnungsangeboten, nachzuweisen ist.

Für von dem demographischen Alterungsprozess betroffene suburbane Siedlungsräume sind zumeist noch keine, auf eine ganzheitliche Strategie ausgerichtete kommunale Entwicklungskonzepte entworfen worden, welche öffentlichen und privatwirtschaftlichen Akteuren Optionen aufzeigen, wie eine bedarfs- und seniorengerechte Planung in den Bereichen Nahversorgung, medizinische Versorgung, Mobilität und Wohnen in Zukunft gestaltet werden kann. Die Konzeption geeigneter Entwicklungsstrategien soll die Qualität suburbaner Wohnstandorte für ältere Menschen erhöhen, eine selbstständige und selbstbestimmte Lebensführung im Alter und einem möglichst langen Verbleib im angestammten Wohnquartier und der Kommune ermöglichen und potentiell auftretende Abwanderungstendenzen der Bevölkerungsgruppe 60plus entgegenwirken.

Die aus den Zielsetzungen abgeleiteten Forschungsfragen werden einerseits mittels einer sekundärstatistischen und andererseits durch eine empirische Untersuchung in 16 Kommunen im Landkreis Mainz-Bingen im Umland der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt Mainz beantwortet. Die Untersuchungseinheit im Rahmen der empirischen Arbeiten bilden Haushalte der Jahrgänge 1945-1953, so dass im Erhebungsjahr 2014 dies die Gruppe der 60- bis 69-Jährigen einschließt. Die empirische Untersuchung in den 16 Kommunen wurde anhand einer teilstandardisierten postalischen Befragung vorgenommen. Insgesamt sind im Rahmen der Erhebung 3.942 Fragebögen an Haushalte versendet worden (Vollerhebung). Die Rücklaufquote beträgt mit insgesamt 2.002 ausgefüllten Fragebögen 51 %.

Aufbauend auf den Ergebnissen der sekundärstatistischen und empirischen Untersuchung der Auswirkungen von suburbanen Raumstrukturen auf Wohnstandortentscheidungen der Bevölkerungsgruppe 60plus und der Beantwortung der Forschungsfragen werden zunächst zentrale Forschungserkenntnisse zusammengefasst und Schlussfolgerungen für den ausgewählten Untersuchungsraum gezogen. Das Ziel liegt in einer induktiven Herausarbeitung von allgemeinen Handlungsbedarfen für die Planungspraxis, die generell in suburbanen Siedlungsgebieten vor dem Hintergrund der Auswirkungen der demographischen Alterung virulent sind und in der Konsequenz zu einer Erhöhung der Wohnmobilität älterer Bevölkerungsgruppen führen können.

Anschließend werden, auf der Ableitung von allgemeinen Handlungsbedarfen für die Raumplanung aufbauend, übergeordnete Strategien zur Gestaltung und Anpassung eines seniorengerechten Versorgungs- und Wohnraumangebotes in suburbanen Siedlungsgebieten in Deutschland aufgezeigt. Das Ziel liegt in der Ermöglichung einer selbstständigen und selbstbestimmten Lebensführung im Alter und einem möglichst langen Verbleib im angestammten Wohnquartier und der Kommune, in der Erhöhung der Qualität suburbaner Wohnstandorte für ältere Menschen und in dem Entgegenwirken potentiell auftretenden Abwanderungstendenzen der Bevölkerungsgruppe 60plus.

ISSN 1869-3814
Seitenzahl: 267

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Arbeitspapiere zur Regionalentwicklung – Elektronische Schriftenreihe des Lehrstuhls Regionalentwicklung und Raumordnung (E-Paper) – Band 19

Marcel-Alexander Gärtner
Residential choices of suburban households of the population group 60plus – the example of communities in the administrative district of `Landkreis Mainz-Bingen´

In the second half of the 20th century a spacious suburbanization process occurred in the Federal Republic of Germany. In the 1970´s und 1980´s young families migrated in their family establishing phase to suburban areas and preferred one-family houses in a family-friendly living environment. Hence, suburban areas developed to age-homogenous settlements. Now, this population group reaches the age 60plus with the result that, due to the mentioned age-selected urban-suburban-migration, suburban areas are affected by demographic ageing in an above-average extent.

Today, due to a non-existing congruence between an aged population on the one hand and the spatial environment on the other hand, a complex of problems emerged, which challenges communities as well as affected households.

Thus, with the increasing proportion of older people in the suburban population an increasing and changing demand for age-specific decentralized basic public and private services (e. g. medical care services, supply of goods and services to cover daily needs, local and regional public transport services) as well as for age-appropriate housing offers is taking place. Beside these quantitative aspects, in comparison with the prewar generation the generation 60plus has new requirements and demands on their residential area, which are based on processes of social change.

Concurrently, in suburban areas age-appropriate housing offers as well as age-specific decentralized basic public and private services are non-existent or limited. The latter is traced to an expansive and mono-functional settlement development, a spatial concentration of basic public and private services and a dependence upon private motorized transport. When an age-related limitation of this last-mentioned individual mobility occurs, a disadvantageous situation in view of the conditions of accessibility of basic public and private services will follow.

The described spatial related divergences between changing quantitative and qualitative usage patterns regarding basic public and private services, mobility and housing on the one hand and the current settlement structures on the other hand, put an age-appropriate living in suburban areas into question with the effect that residential choices in earlier phases of life will now be reconsidered.

Against the background of the described spatial-related problems in suburban communities in context of demographic ageing, the central objective of the present study is the empiric exploration of residential choices of suburban households of the population group 60plus by the example of communities in the administrative district of `Landkreis Mainz-Bingen´. The following research objectives will be pursued:

As a first step, the current settlement structures in the research area will be analyzed to assess the eligibility of the current basic public and private services to assist an independent living in the higher age (70/80plus).

A further object is the examination of the current spatial supply patterns of the investigated population group 60plus as well as resulting potential deficits in the accessibility of basic public and private services in the higher age (70/80plus).

In another analytic step the focus is on the subjective assessment of the residential area and the current basic public and private services from the perspective of the investigated population group 60plus

Furthermore the residential mobility (most of all the willingness to relocate in inner-city areas) of the population group 60plus, in particular in dependence on the current basic public and private services, is subject of the investigation.

For suburban settlement areas affected by the process of demographic ageing, development concepts with comprehensive strategies for an elderly-oriented spatial planning for private and public actors, don´t exist. The conception of suitable development strategies should increase the livability of suburban residential areas for elderly people, enable an autonomous and self-determined living in old age and allow continuing the residence in the previous residential area. Also potential tendencies of migration of the population group 60plus from suburban regions can be countered.

The research questions derived from the described research objectives are answered on the one hand by a secondary statistical analysis and on the other hand by an empirical investigation in 16 communities in the administrative district of `Landkreis Mainz-Bingen´ in the suburban area of Mainz – the capital of the federal state of Rhineland-Palatinate.

The unit of examination within the framework of the empirical study exists of households of the birth cohorts between 1945 and 1953, which includes that in 2014 – the year of the data collection – this group were between 60 and 69 years old. The empirical study in the 16 communities was carried on the basis of a semi-standardized postal survey. In total, 3.942 questionnaires have been sent (fullscale survey). The response rate was 51 %, which means that 2.002 questionnaires have been returned.

Based on the results of the secondary statistical analysis and the empirical investigation of the effects of suburban settlement structures on residential choices of households of the population group 60plus, central research findings are summarized and conclusions for the elected survey area are drawn. The objective is to identify needs for action for planning practitioners in the suburban areas affected by the effects of demographic ageing, which can cause an increase of residential mobility of elderly people.

Building on the identification of needs for action within spatial planning, general strategies for the conception and adaption of elderly-oriented basic public and private services and age-appropriate housing offers in suburban areas in the Federal Republic of Germany are pointed out. The objective is to enable an autonomous and self-determined living in old age, to continue the residence in the previous residential area, to increase the livability of suburban residential areas for elderly people as well as to counter potential tendencies of migration of the population group 60plus from suburban regions.

ISSN 1869-3814
Number of pages: 267